Der gute Geist

Durch meine Krankheit musste ich frühzeitig meine Selbständigkeit beenden und im Alter von 59 Jahren die Frühpension beantragen. Es fiel mir schwer, meinen geliebten Betrieb unverhofft an die nächste Generation abzugeben. Ich hatte die Übergabe erst Jahre später geplant. Dieses Buch zu schreiben war mir wichtig, denn die Nachwelt sollte etwas von meinen Erfahrungen aus der Tierpension lesen. Es machte Spaß sich an die verschiedensten Begebenheiten zu erinnern. Vielleicht würde mein Buch auch die Welt ein kleines Stück besser machen? Wie man beim Lesen des Buches erkennt, liebte ich tatsächlich meine Arbeit mit den Tieren. Ich freute mich jeden Tag auf „meine“ fröhlichen Tierchen. Selten war ich krank und wenn, dann war ich trotzdem (fast immer) irgendwann in den Tierbereichen und am PC zu finden. Mein Job war auch mein Hobby,

 

Die traurige Diagnose "COPD" (irreparable Lungenerkrankung)  traf mich nicht plötzlich, sondern wusste ich schon fünf Jahre darüber Bescheid. Es war abzusehen, dass sich mein gesundheitlicher Zustand verschlechtern würde. Trotzdem passierte es sehr unverhofft, dass mich im Oktober 2023 eine Infektion ins Krankenhaus zwang. An dem letzten Tag meiner Arbeit stand ich noch nachmittags, nach Luft ringend, in den Außengehegen, um diese zu säubern. Am späten Abend klappte ich völlig zusammen und konnte kaum noch atmen. Die Rettung fuhr mich noch spätabends mit Sauerstoff ins Krankenhaus. Dort blieb ich 10 Tage und mir wurde klar, dass mein Ehemann und meine Familie, künftig mithelfen mussten, den Betrieb am Laufen zu halten. Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, konnte ich körperlich anstrengendere Arbeiten im Tierbereich nicht mehr alleine erledigen.

 

Drei Wochen im Rehabilitationszentrum im Januar 2024 brachten wenig Erfolg. Es ging mir nur eine Spur besser. Es wurde noch eine Therapie mit einem Atemgerät versucht, die wenig Sinn machte. Eine Nacht durchwachte ich, mit Elektroden und Bändern und Masken, in einem alptraumhaften Schlaflabor. Im April 2024 zwang mich ein erneuter Infekt wieder mit der Rettung ins Krankenhaus. Es wurde mir deutlich gemacht, dass ich überhaupt nicht mehr im Tierbereich arbeiten könnte und nicht mehr lange leben würde. Ich sollte, sobald Kapazitäten frei würden, in ein "Palliativzimmer" verlegt werden. Es wurde über eine Lungentransplantation diskutiert, welche ich aber strikt ablehnte. Das halbstündige Gespräch mit dem Chefarzt war für meinen Ehemann und meine drei Kinder ein Schock. Ihre verweinten Gesichter beim Besuch im Krankenhaus werde ich nie vergessen.

 

Man sagt anderen Menschen viel zu selten, dass man sie lieb hat. Solange es dem anderen gut geht, ist das irgendwie selbstverständlich. Wer mag schon Krankenhäuser? Ich fühlte mich im Krankenhaus dermaßen schlecht, sodass ich bei meiner Körpergröße von 176 cm auf 47 Kilo abnahm und auch keinerlei Appetit hatte. Das Gefühl, bald sterben zu müssen, kann wohl nur ein schwerstkranker Mensch nachvollziehen. Ich dachte an einem Tag im Krankenhaus tatsächlich, dass ich von dort nicht mehr lebend rauskomme. Ich fürchtete mich nicht vor dem Tod, wollte aber noch alles ins "Reine" bringen. Daher bat ich um vorzeitige Entlassung, denen die Ärzte auch zustimmten.

 

Zuhause ging es mir von Tag zu Tag besser und ich lernte, mit meiner Krankheit umzugehen. Das Palliativ-Team, welches mich erst alle 14 Tage und dann monatlich besuchte, machte mir Mut, nicht nochmals ins Krankenhaus zu müssen. Die vielen Medikamente waren mir erklärt worden und ich bekam einen Rollstuhl. Man wunderte sich, dass ich auf positive 53 Kilo zunahm und meine Prognose besser wurde. Alle hatten Schlimmeres erwartet. Beruhigend war für mich, dass mein Wille fett auf dem Akt stand: "Patientin will nicht ins Krankenhaus! Sie will nicht auf die Intensivstation!". Ich hatte alle Medikamente im Haus und damit könnte auch ein Notarzt vor Ort versorgen. Wenn es vorbei war, war es eben vorbei. Zum schlimmen Pflegefall wollte ich niemals werden, sondern würde vorher selbst meinem Leben ein Ende setzen. Das sollte jeder Mensch selbst entscheiden dürfen. Ich habe nun alles "im Reinen" und könnte jeder Zeit "gehen". Noch macht mir mein Leben aber Spaß und ich falle niemandem zur Last. Daher kommt ein Abgang noch überhaupt nicht in Frage.

 

Wenn es denn sowas wie einen Himmel gibt, schwöre ich – ich werde mich bemühen – von oben runter zu schauen. Sollte ich als Geist wandeln können, werde ich das tun und mich bemerkbar machen. Vielleicht mal (M)EIN Buch runter werfen, ein Familienbild schräg stellen oder Politikern was ins Ohr flüstern. Eben, was mir aus der weiten Ferne möglich ist. Keine Angst vor Geistern ! Es gibt auch wohlwollende, liebende Gespenster. Ja, ich bin mir sicher von oben runter zu sehen (und nicht von unten rauf). Kirche war zwar immer für mich ein unglaubliches Thema, jedoch die "Zehn Gebote" versuchte ich einzuhalten und konnte mich immer ganz gut „im-Spiegel-sehen“. Ich denke, ich war ein ziemlich guter Mensch. Wenn ich nicht in den "Menschen-Himmel" kommen sollte - dann ganz bestimmt in den "Hunde-Himmel", wo ich viele meiner geliebten Freunde treffe.

 

Natürlich habe auch ich so einige Sachen fabriziert, die ich mit meinem heutigen Wissen, wohl hätte besser machen können. Wer nichts tut – dem kann auch nichts passieren. Wer mehr macht – dem widerfährt natürlich auch mehr. Von einer Skala von 0 – 10 würde ich mich selbst himmelsmäßig doch so zwischen 8 – 9 sehen. Ab 5 müsste, meiner Meinung nach, ein halbwegs gnädiges Gericht den Himmelsweg frei machen und deswegen bin ich mir sicher, irgendwo zwischen Engeln zu wandeln. Vielleicht nicht auf der aller-obersten Wolke – aber doch so mitten drin.

 

Bei Übergabe an die Jugend musste ich mir ständig selbst „auf die Finger klopfen“, um mich nicht mehr in meinen ehemaligen Betrieb einzumischen. Naturgemäß denkt jeder Mensch anders und das kann eine Herausforderung werden, wenn jeder denn seine Meinung vertritt. Was in einer Familie GANZ wichtig ist! Das „Sich-Aus-Allem-Raushalten“ ist mir leider nicht immer perfekt gelungen. Die nächste Generation nimmt mir das aber nicht krumm - das weiß ich. Ich war die Führung meines Betriebes über ein Vierteljahrhundert gewöhnt und dachte da und dort anders. Kein Mensch hat genau gleiche Vorstellungen. Es war nicht einfach, die gewohnte Rolle der Unternehmerin zu verlassen. Meine Familie hat diese Herausforderung ganz gut gemeistert. Jetzt, nach mehreren Monaten meines Frührentner-Daseins",  dürften wir (hoffentlich) die ärgsten Diskussionen hinter uns haben. 

 

Ich bin heilfroh darüber, ein gutes Verhältnis zu meinen erwachsenen selbständigen Kindern zu haben – wenn denen was nicht passt, dann sagen sie es auch. Das war schon immer so: Als alleinerziehende dreifache Mutter, haben wir – bestmöglich - demokratisch zusammengelebt und jede Stimme zählte gleich. Da ich selbst zu streng mit regelrechtem „Drill“ lieblos erzogen wurde, wollte ich die gleichen Fehler nicht bei meinen Kindern machen, sondern diese zu mutigen wertvollen Wesen erziehen, die sich nach ihren Vorstellungen entwickeln können. Eher wollte ich eine liebe Freundin sein, als eine strenge Mutter. Ich wünsche – denke – hoffe, es ist mir gelungen.

 

Mein Lebenswerk ging nun in die nächste Generation. Es war wichtig, dass mein Ehemann und ich uns im Februar 2024 räumlich entfernten. Ganz so weit wollten wir nicht wegziehen, sondern fanden wir auf Anhieb eine hübsche, ebenerdige Gartenwohnung. Diese war mitten zwischen meinen Kindern gelegen. Zu meinem ehemaligen Betrieb waren es nur 5 Minuten - zu meiner Tochter 6 Minuten - zu meinem ältesten Sohn nur 9 Minuten Autofahrtzeit. 

 

Es gelang mir von Woche zu Woche besser, nicht überall meinen Senf dazu zu geben. Das war auch gar nicht nötig: Der neue Chef, mein Sohn Thomas, hatte mich schon oft vertreten und machte einen SUPER-JOB. Er wollte keine Ratschläge mehr und ich hielt mich deswegen zurück. Vielleicht schrieb ich auch ein bisschen für ihn dieses Buch? Ich bewundere ihn, ob der Kraft und Begeisterung, mit der er als mein Nachfolger nun an SEIN Werk geht. Als ich in seinem Alter war, hatte ich diese Motivation auch. Vieles macht er nun sogar besser als ich. Insbesondere wenn ich an die Technik denke, die Fotos der Gast-Tiere, seine PC-Kenntnisse oder seine handwerklichen Fähigkeiten. Auch hat er die gewisse WICHTIGE Lockerheit (Albernheit) im Umgang mit den Tieren und merklich Freude an der Arbeit. Mir geht das Herz auf, wenn ich Fotos seiner Veränderungen oder seine Veröffentlichungen im Facebook sehe und die von innen strahlenden Gesichter der Betreuer. Ich weiß, wie schön das Leben dort ist. SEHR GERNE habe ich meinem geliebten Sohn den Betrieb überlassen. Er wird ein wunderschönes Leben haben.

 

Natürlich besuche ich ab und zu meinen ehemaligen Betrieb. Körperlich wurde ich leider schwächer und mit einem Sauerstoffgerät in alle Rudel zu gehen ist nicht mehr möglich. Liebend gerne werde ich, wenn ich eingeladen bin, mit kleineren Tierchen spielen, Welpen das „gute Benimm“ beibringen oder ein charaktervolleres Tier dem Menschen positiv näher bringen. Wenn ich dort was mache - dann tue ich das aber nicht mehr job-mäßig – sondern privat. Komplett egal wird mir mein ehemaliger Betrieb wohl nie werden.

 

Ich frage mich grade: Was war in meiner Tierpension eigentlich Arbeit – was war Hobby? Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass ich – trotz Schwielen an den Händen - verdammt (der Himmel möge mir Wortwahl verzeihen) wenig arbeitete ……