Kleiderordnung für Besucher

Bereits Mitte des 16. Jahrhunderts fand sich in einer Erzählung die Redewendung „Kleider machen Leute“. In der Außenwahrnehmung von Mensch zu Mensch mag das auch so sein. Zwischen einem Anzugträger und einem Hemdträger liegen bei der Betrachtung Welten. Mode und Kleidung spielten für viele Menschen eine (zu) große Rolle. Auch weiterer Schnickschnack wie Makeup, Frisur und Gesichtsbehaarung steuerten das Aussehen und führten meist dadurch zu einem veränderlichen Umgang zwischen Menschen. Selbst Gegenstände wie Fahrzeuge, Handtaschen oder Schmuck konnten Statussymbole sein.

Tiere erlebten Personen völlig anders – sie blickten tief in die Seele des Menschen. Das war eine sehr liebenswerte Eigenschaft. Für Tiere zählte nicht der "Tand" rundherum - sondern die wahren Werte im Leben waren ausschlaggebend. Dem Hund war völlig egal, wie jemand aussah oder wieviel Eigentum dieser hatte. Für den Hund zählte die Energie, die der Mensch ausstrahlte. Alles andere war für Hunde unnötiges Beiwerk.

 

Seltsames Verhalten von Tierbetreuern

 

Als Tierbetreuer, näherte ich mich immer mehr dem sympathischen „Denken“ von Hunden. Ich lernte bzw. wir lernten viel voneinander. Dass mir unnötiger Krimskrams immer unwichtiger wurde, lag bestimmt daran, dass mir meine tierischen Gäste vorlebten, was wirklich wichtig war. Lustigerweise wurde über mich auch schon gesagt, ich würde mich in manchen Situationen wie ein Hund bewegen bzw. wie bei beim Trainieren eines Hundes gestikulieren. Es stimmte, dass ich Sätze gerne mit einem Handzeichen untermauerte und in manchen Situationen speziell zum Spielen aufforderte. Es gäbe hier einige peinliche Beispiele. 

 

Unsere Tierbetreuer entwickelten eine eigene Gangart. Der Profi bewegte sich im Rudel anders und konnte man von einem Laien nicht erwarten. Bevor man mit dem Fuß abrollte, hatte man immer im Kopf "Es könnte ein Pfötchen drunter sein".  Das hieß: Man ging, wenn man überhaupt mit der vollen Fußfläche aufstieg, sehr vorsichtig. Es wurde von der Zehenspitze zur Ferse abgerollt - und nicht wie sonst umgekehrt. Spezielles Gehen hatte man automatisch "Intus".

 

Bei Toren, Türen, Zäunen und Gittern wendete der routinierte Betreuer immer einen sogenannten "Doppelgriff" an. Man schloss etwas und griff nochmals nach: "Ist es wirklich zu?"  Das war eine gewohnte Kontrolle. Spannend war die Feststellung, dass ich diese Eigenheit dermaßen automatisiert hatte, sodass ich das Prinzip überall anwendete. Das machte ich selbst bei Türen, außerhalb des Tierbereichs lagen oder wenn ich irgendwo zu Besuch war. Diese Verhaltensweise fiel mir übrigens auch bei anderen Menschen, die viel mit Tieren arbeiteten, auf. Demnach war ich froh, nicht alleine so verrückt zu sein.

 

Markenkleidung und Schmuck waren mir, auch in Zeiten meines Sekretärinnen-Jobs, generell nie so wichtig. Als Bürokraft musste ich mich damals natürlich meinem Umfeld anpassen und trug neben stylischer Kleidung z. B. auch lackierte Fingernägel. Mode verlor aber, je länger ich mit Tieren arbeitete, immer mehr ihren „Wert“. Lieb und teuer wurden mir unbezahlbare wirkliche Werte.

 

Wichtige Kleiderordnung

 

Nun hatte ich es, weder bei Tierbesitzern noch bei Interessenten, selten mit erfahrenen Mehr-Tierhaltern zu tun. Die meisten waren Besitzer von nur einem oder wenigen Hunden / Katzen. Deswegen empfahl ich eine Kleiderordnung für Besucher. Wer direkten Kontakt zu unseren "Wölfen" oder "Löwen" wünschte (insbesondere bei der Vergabe), sollte einiges beachten: Wegen Verletzungsgefahr waren im Tierbereich Pfennigabsätze an Schuhen überhaupt nicht erlaubt. Gerne verborgten wir notfalls Gummistiefel oder Schutzkleidung. Weiters empfahl ich (auch im eigenen Interesse des Besuchers):

  • festes Schuhwerk (ohne Schnürsenkel)
  • lange Hosen (Jeans oder Stoff)
  • wetterfeste Kleidung (die kaputt gehen darf)
  • Zopfband (Zusammenbinden von langen Haaren)
  • KEINE Kleidung aus Leder oder Fell
  • KEINE Handtaschen aus Leder
  • KEINE Aufsätze aus Echt- oder Kunstpelz
  • KEINE Bommeln oder Quasten
  • KEINE flatternden Umhänge
  • KEINE Kleidung in der Tierfutter war oder ist
  • KEINE langen baumelnden Ketten
  • KEINE Krawatten
  • KEINE teuren Sachen mitnehmen

Niemals wurde ein Besucher ernsthaft verletzt. Insbesondere bei unseren eigenen Aufzuchten passierte da und dort schon Mal ein Kratzer, der aber von niemandem tragisch genommen wurde. Schon einiges ging kaputt. Auch hier waren unsere lieben Besucher immer vernünftig und es ging bei gewissen abgefressenen Bommeln oder durchgekauten Schnürsenkeln nicht "die Welt unter". Echte Perlenketten oder anderes teures wurde von uns bei der Eingangskontrolle schon aus- oder umgezogen. Frisuren litten manchmal arg. Wer sich gegen unsere Schutzkleidung wehrte und im Sommer mit kurzer Hose oder Rock zu den Tieren ging, hatte im Rudel verspielt und manchmal kam unser Erste-Hilfe-Kasten zum Einsatz.

 

Umgang mit UR-Hunden

 

Unsere dringende Empfehlung für Besucher (Kleiderordnung) entwickelte sich durch den Auslands-Tierschutz. Wir unterstützten unter anderem das, lt. Guinness Buch der Rekorde, größte Tierheim der Welt in Rumänien. Mehrere Monate arbeiteten wir ehrenamtlich aktiv mit dieser Organisation. Durch Aufnahme von insgesamt 76 erwachsenen Hunden entlasteten wir das dortige Tierheim. Neutral betrachtet, würde ich diese Hunde als "UR-Hunde" bezeichnen. Sahen sie doch aus wie "normale" Hunde, so hatten sie noch nicht viel von der Welt erlebt und zeigten sehr ursprüngliches Verhalten. Viele waren scheu wie Wölfe. Die wenigen zugänglichen Hunde interessierten sich jedoch für ALLES. Besonders interessant fanden sie, am Menschen baumelnde, Gegenstände und echtes Leder war lecker. Kommandos kannten sie nicht. Ein „NEIN“ beeindruckte sie anfangs wenig. Das betraf natürlich nicht nur die rumänischen Wölfchen, sondern auch manche inländischen Hunde und insbesondere alle Welpen.

 

Obwohl wir viele Jahre mit vielen Hunden arbeiteten und hohe Schuhe auch vorher schon verpönt waren, entstand unsere Kleiderordnung daher erst verhältnismäßig spät. Insbesondere wegen unserer neugierigen, unerzogenen, ursprünglichen Schützlinge und damit verbundenen vermehrten menschlichen Besuchern, wurde diese Empfehlung sehr wichtig. Ich könnte hierzu viele spannende Erlebnisse von zerkauten Schuhen, verlorenen Gegenständen, kaputten Zopfbändern, gestohlenen Ketten u.v.m. erzählen. Das würde aber den Rahmen meines Kapitels sprengen.

 

Zum besseren Verständnis, warum für meine Tiere und mich "schöne" Kleidung eher "unschön" war, veröffentliche ich gerne die Geschichte eines mehrjährigen Dramas:

 

Der Hundeflüsterer

 

In meiner Tierpension befanden sich, unter meinen Kunden, die unterschiedlichsten Menschentypen aus allen Gesellschaftsschichten mit den verschiedensten Tieren. Das machte meine Berufung auch so spannend. Eintönigkeit kannte ich nicht, denn täglich war etwas anders. Kam oder ging ein Gast, änderte sich die Rangordnung im Rudel. Jedes Tierchen hatte seinen eigenen Charakter und manchmal war eines aus dem bestehenden Rudel, entgegen seiner sonstigen Natur, besonders verspielt oder auch mal nicht so gut drauf. Bei Menschen war das Verhalten nicht anders - nicht an jedem Tag hatten sie exakt die gleiche Laune.

 

Einer meiner langjährigen Kunden stellte unser Team oft vor Herausforderungen der speziellen Art. Herr XXX war Inhaber einer großen Firma, etwa 55 Jahre alt, charakterlich und äußerlich - eine imposante Erscheinung, mit ruhiger Ausstrahlung und ein absoluter Hundefreund. Er buchte immer frühzeitig per Mail und hielt sehr pünktlich seine Termine ein. Er hatte keine Sonderwünsche, sondern meinte nur, dass sein Hund sich bei uns wohl fühlen sollte. Er war ein sehr angenehmer Kunde, der sich strikt an unsere Hausordnung hielt. Auch während der Betreuung erfolgten keine unnötigen Anrufe. Kurzum: Der perfekte Kunde!

 

Sein Hund war ein wohlerzogener, temperamentvoller, kastrierter, großer Border Collie-Rüde. Der Aufenthalt war meist einmal monatlich für eine Woche. Demnach betreuten wir seinen Rüden etwa zwölf Wochen jährlich. Er war durch seine gute Erziehung leicht führbar und gruppenfähig mit fast jedem Hund. Er fraß brav und ordentlich, war kein Futterverteidiger, bellte wenig, spielte schön, machte nichts kaputt, war stubenrein, befolgte Kommandos. Kurzum: Der perfekte Hotelgast!

 

Verliebte Wölfchen

 

Perfekter Kunde – perfekter Hund. Was machte die Beziehung anstrengend? Es war die jeweilige Ankunft und Abholung im maßgeschneiderten dunklen Anzug. Früh war mir klar, dass diesem sympathischen Tierbesitzer „Schnickschnack“ absolut nicht wichtig war. Privat trug er meist T-Shirt und Jeans mit Turnschuhen. Es gab Menschen, die einen besonderen Draht zu Hunden hatten. Herr XXX war so ein Mensch. Unsere hauseigenen fünf großen Hunde liebten ihn. Auch Herr XXX hatte sichtlich Freude mit Hunden zu spielen und saß manchmal am Boden, um mit ihnen herumzubalgen oder auf der Spielwiese Frisbee zu werfen. Immer hatte er eine Groß-Packung Leckerlis mit, dessen Rest dann für „alle“ anderen Hunde gedacht war. Wir freuten uns, wenn er in lockerer Kleidung  kam. Die Hunde meldeten schon frühzeitig fröhlich, wenn sein Auto in unsere Straße bog. Es passierte auch oft, dass Herr XXX ohne Auftrag in Freizeitkleidung erschien und nur im „Vorbeifahren“ (mit kurzfristigem Termin) „vorbeischaute“, um sich ehrenamtlich mit einem charakterlich schwierigen Hund zu beschäftigen. Er war ein wahrer Hundefreund und Gewinn für mein Haus.

 

Äußerst schwierig gestaltete es sich, wenn Herr XXX geschäftliche Kleidung trug. Als Unternehmer waren toller Maßanzug, Krawatte, Manschettenknöpfe, Stecktuch und auf Hochglanz polierte Lederschuhe manchmal nötig. Das Dilemma dieser Kostümierung (er nannte es selbst so) fand etwa alle zwei Monate statt. Die Hunde liebten ihn trotzdem und machten, im Verhalten zu ihm, keinerlei Unterschiede bzw. nahmen auf sein Outfit keine Rücksicht.

 

Als er das erste Mal in seinem Geschäfts-Dress erschien, hatte er mich überrascht. Noch nie hatte ich ihn so aufgedonnert gesehen. Es war nicht zu verhindern: Die Tierchen schmiegten sich, wie gewohnt, an ihn – er freute sich. Die Uniform tat der gegenseitigen Liebe keinen Abbruch - der Anzug jedoch litt schlimm. Gottlob hatte ich das Enthaarungs-Gerät mit frischen Kleberollen bestückt. Mit Hilfe des Trockners und mehrminütiger händischer Arbeit schaffte ich es, Herrn XXX für seinen wichtigen Termin, wieder halbwegs fit zu bekommen.

 

Er selbst sah das lockerer. Vielleicht kam in mir auch die Hausfrau durch? So konnte man unmöglich an einem wirklich wichtigen Kongress erscheinen. Nochmal passierte so ein Drama nicht mehr. Schon im Vorfeld fragte ich, in welchem Outfit er denn kommen würde. Konnte ich das nicht erfahren (manchmal wusste er es selbst noch nicht) stand man beim Bringen und/oder Abholung am Fenster und - je nachdem, wie er angezogen war – wurde entschieden. Entweder mussten schnellstens alle verliebten Wölfchen entsprechend versperrt werden oder man konnte sie doch alle frei herum laufen lassen.

 

Unglücklicher Kunde war keine Option

 

Nicht nur die Optik unseres Kunden war ein Problem – sondern auch die Seele der zwei- und vierbeinigen Lebewesen. Mussten wir alle Tierchen wegsperren, blutete Herrn XXX regelrecht das Herz. Schnupf! So würde ihm auch sein Geschäftstermin keine Freude machen. Kopfmäßig verstand er es ja – jedoch sein Bauch würde was anderes meinen. Auch die Tierchen verstanden die Welt nicht mehr und sahen mich vorwurfsvoll an. Was tun? Wir einigten uns darauf, die Hunde in ein Gehege mit 1,30 m Gitterhöhe zu leiten und nur den einen sportlichen „Über-den Zaunspringer“ ganz weg zu sperren. Herr XXX konnte die verbliebenen Hunde, anzugs-geschützt streicheln. Über den Zaun hinweg und natürlich ohne Anzugsjacke. Die Hemdärmel konnte man hochkrempeln und leichter enthaaren.

 

Fazit: Kam er in elegantem Anzug, sah er natürlich (noch) feiner für durchschnittlich denkende Menschen aus. Den Hunden und uns gefiel er aber in gemütlicher Privatkleidung wesentlich besser. Jeder andere, locker gekleidete, Besucher übrigens auch ….