Lieber wäre sie verhungert

Auch nach unzähligen Jahren in der Hundebetreuung und Hundepension war ich manchmal verblüfft, wie ein Tier mich doch überraschen konnte. Immer wieder dachte ich, nun alles gesehen zu haben – doch dann kam Barbie in unser Leben und lehrte mich eines Besseren. Diese Hündin, so liebenswert und sanft wie sie war, stellte unser Team, aber vor allem mich, vor einige Herausforderungen. Barbie war einfach anders: ein Hund mit einer eigenen Agenda und einem Herz, das anscheinend beschlossen hatte, dass kein anderes Zuhause gut genug für sie wäre – außer unseres.

In der Regel war die Vermittlung von Hunden an liebevolle Familien das Herzstück meiner Arbeit. Ich wollte nie, dass ein Hund in der Pension festsaß. Natürlich wuchsen mir viele meiner Schützlinge ans Herz, und der Abschied schmerzte manches Mal mehr, als mir lieb war. Einige Kollegen im Tierschutz machten mir sogar Vorwürfe, wenn ich von „meinen Schützlingen“ sprach: „Du darfst den Hunden keine Namen geben, du darfst keinen Abstand verlieren – das ist ein Job, und nichts weiter.“ Doch das war nie mein Stil. Für mich waren diese Hunde nicht einfach „Gäste“, sondern kleine Persönlichkeiten, die auf dem Weg zu ihrem endgültigen Zuhause ein Stück meines Weges mit mir gingen. Es war mir ein Anliegen, dass die Zeit bei uns für die Hunde angenehm und sicher war – aber eine Tierpension kann und darf niemals das Zuhause ersetzen, das ein Hund wirklich verdient.

 

In Barbies Fall jedoch kam alles anders. Auf den ersten Blick war sie eine Hündin, wie viele andere, die durch unsere Pension gingen. Sie sah mit ihren langen, wuscheligen Haaren und dem sanften Blick entzückend aus, war gutmütig, und da sie mittelgroß war, weckte sie schnell Interesse bei den Besuchern. Tatsächlich standen die Interessenten Schlange, als ich sie mit Fotos auf unserer Website vorstellte – obwohl ich bereits fett und rot markiert hatte: „Noch nicht zur Vermittlung.“ Barbie hatte jedoch Eigenschaften, die einen normalen Vermittlungsablauf völlig unmöglich machten. Sie war eine waschechte Ungarin, ein Mix aus Collie und einer unergründlichen weiteren Rasse, und steckte voller Widersprüche: hübsch und anmutig anzusehen, aber so scheu und unzugänglich, dass das bloße Anlegen einer Leine zum Abenteuer wurde.

 

So konnte BARBIE nicht vergeben werden

 

Das Problem mit Barbie begann also schon bei den grundlegendsten Dingen: Sobald sie an der Leine war, verwandelte sie sich in ein kleines Rodeo-Pferd. Sie biss sich in Panik auf die Zunge, versuchte, den Karabiner der Leine zu öffnen, und schlug um sich, als hinge ihr Leben davon ab. Sie wollte nicht gerufen werden, sie wollte nicht zu Menschen, und sie zeigte das ganz deutlich. Der Versuch, sie durch Rufen heranzuholen, war sinnlos – sie reagierte darauf, als spräche man eine fremde Sprache. So mussten wir anfangs tatsächlich zur Fangstange greifen, um sie einzufangen. Sie bewegte sich wie ein störrisches Pferd und wollte absolut nicht stillstehen.

 

Doch ich wusste: Dieser Hund brauchte einfach viel Zeit und Geduld. In den ersten Tagen nahm sie keinerlei Leckerchen an – nicht mal heimlich, wenn sie allein war. Doch nach einiger Zeit begann sie, vorsichtig Vertrauen zu fassen. Schließlich reichte schon ein leises „Schhhh“ und ein ruhiges Handzeichen, damit sie liegen blieb, wenn wir sie abholen wollten. Die Fangstange war irgendwann nicht mehr nötig, und das fühlte sich wie ein großer Sieg an. Barbie war immer noch extrem scheu und unsicher, aber ich spürte, dass sie bereit war, sich Stück für Stück auf uns einzulassen.

 

Im Tierschutz erlebte ich oft zwei Extreme: Manche Betreuer waren stolz, wenn nur sie mit einem Tier umgehen konnten, als sei das ein Zeichen besonderer Verbundenheit. Sie verkündeten es regelrecht, als sei das eine Leistung, wenn ein Hund nur auf sie fixiert war. Doch das entsprach nicht meiner Philosophie. Ein Hund sollte Vertrauen zu jedem Menschen aufbauen können und nicht nur zu einer einzigen Person. Für mich war es ein Ziel, die Hunde in ein Zuhause zu vermitteln, in dem sie glücklich und unbeschwert leben konnten, ohne das Gefühl zu haben, dass sie auf einen bestimmten Menschen fixiert sein mussten. Das Band zwischen Hund und Besitzer sollte voller Vertrauen sein, aber ebenso offen und flexibel. Es ging darum, dem Hund die Möglichkeit zu geben, mit verschiedenen Menschen gut umzugehen und nicht bei anderen zu „fremdeln“.

 

BARBIE brauchte Erziehung

 

So arbeiteten wir bei Barbie Schritt für Schritt daran, ihre Scheu abzubauen. Wir übten jeden Tag ein wenig, nahmen uns viel Zeit, und sie zeigte nach und nach immer mehr Vertrauen. Sie blieb schließlich liegen, wenn ich sie sanft mit einem „Schhhh“ beruhigte, und fing sogar an, vorsichtig Leckerchen zu nehmen. In den nächsten Wochen begann das Training, bei dem ich langsam begann, sie an das Leben außerhalb ihrer sicheren, kleinen Welt zu gewöhnen.

 

Auch wenn Barbie für viele Interessenten sofort ein Traumhund gewesen wäre, musste ich ihnen stets absagen – sie war noch nicht bereit für ein eigenes Zuhause. Doch ich wusste, dass der Tag kommen würde, an dem Barbie das Herz eines besonderen Menschen erobern und endlich ihren eigenen Platz finden würde. Bis dahin blieb sie bei uns, eine bezaubernde, scheue Seele, die uns allen immer wieder bewies, dass jede Herausforderung, die ein Hund uns entgegenbringt, auch eine Bereicherung sein kann.

 

 

Kopie aus meinem Trainingsbuch (deshalb in Gegenwartsform geschrieben):

 

Training 1. Tag: Heute habe ich mir BARBIE intensiv vorgenommen. Ohne Leine geht sie max. 2 Meter weg von mir und folgt überall hin. Kommt ein fremder Mensch ... nimmt sie, auch in meinem Beisein, nicht Mal das leckerste Nassfutter. Verschwindet der Unbekannte, ist die Welt wieder in Ordnung. Kommt ein weiterer Hund dazu - wird es noch entspannter. Sie ist völlig locker, spielt lustig und fetzt über die großen Wiesen der Anlage. Sie frisst und trinkt, solange sie die Leine nicht sieht! Sieht sie diese - setzt sie sich stocksteif hin und will gar keinen Schritt gehen – selbst anderer Hund hilft hier nichts. Versteckt man die Leine, ist alles OK. Macht man ihr die Leine um und lässt man diese los geht sie einem, nach 15 Minuten, mit Leine (die am Gras hinterher schleift) nach. Kaum nimmt man im Gehen die Leine vom Boden auf - geht sie keinen Schritt mehr. An der Leine nimmt sie weder Futter noch Wasser. Sieht sie einen Fremden - das gleiche. SOWAS ! Mein persönliches Ziel ist, ich gehe mit ihr in 10 Tagen in ein Gasthaus = Autofahrt samt Leine. Ich denke positiv: Wir schaffen das! Hmmm, ein besonders „charaktervolles“ Hundchen!

 

Training 2. Tag:  BARBIE und die Leinenphobie - nächster Akt. Es ist mir egal, wenn nun andere Hundetrainer mich ob meiner "unorthodoxen Erziehungsmethoden" in der Luft zerreißen. Ich arbeite nach Bauchgefühl. Dieses sagte mir heute: Wir tun erstmal gar nichts! Ich habe im Rudel mein sonntägliches Buch weitergelesen ..... wir haben gemeinsam die Außenanlage gereinigt .... bei den Katzen Ordnung gemacht ..... uns auf den Boden ins Gras gelegt - Bauch gekrault bzw. Hand geschleckt .... wieder weitergelesen. Gemütlicher Sonntag.  Nachmittags hole ich die "SUPER-SCHRECKLICHE LEINE!". Sobald sie die Leine auch nur sieht, wird sie zum unglücklichsten Hund der Welt. Jedoch - ihr werdet es nicht für möglich halten: Wir gingen 3/4 unserer Bachstraße (AN DER LEINE!) hin und her - und das mit mittelhoher Schwanzstellung. Sobald BARBIE jedoch nur den geringsten Widerstand spürt (auch wenn sie selbst auf die Leine steigt) - steht sie und es braucht Überredungskunst den "ACH-SO-WEITEN" Weg zurückzugehen. Bei einer Laufstrecke von regulären 8 Minuten, schafften wir es nach 2 Stunden wieder heim!  LEINE SOFORT RUNTER - SCHWANZ SOFORT RAUF! Viel weiteres Lob und Nassfutter. FELIX, mein Haushund, kommt dazu = lustiges über den Platz wetzen. Zurück ins Rudel an der Leine - völlig problemlos. Wäre allerdings ohne Leine noch viel besser gegangen ....

 

Training 3. Tag:  Das mit der Leine funktioniert heute schon viel besser! Ich bin sehr zufrieden. Wir haben die Bachstraße komplett begangen. Ich durfte BABI nur etwa 8 Mal zum Weitergehen überreden - das ist die Hälfte von gestern. Wir brauchten auch nur eine halbe Stunde.

 

Training 3. Tag / nachmittags:  Den heutigen Nachmittag betitle ich mit: " HUCH ! EIN FREMDER ! "oder "HUCH - ein fremdes Geräusch!". Dazu sei erwähnt, dass meine Schülerin nicht geräuschempfindlich ist - z. B. laute Rock´n Roll Musik im Tierbereich ist kein Problem. Uns begegnete am Ende (oder Anfang - je nachdem wie man es sieht) unserer Exkursion in unbekannte Welten doch glatt ein unbekannter Fußgänger (mit etwa 15 m Abstand). Es war schrecklich! Und dann kam man heim und in unserem Haus stand ein anderer Mensch aus dem Team! HUCH !!! Leinegehen mit einem "NICHT-GANZ-SO-FREMDEN" (meinem Ehemann) ist das reinste Desaster = funktioniert überhaupt nicht. Leinenführer sowie Leinengänger tun einem beim Zusehen gleichermaßen leid. Mit mir geht sie ganz brav - mit Rüdiger gar nicht. Leckerchen nimmt BARBIE in dieser "hochgradigen Gefahrensituation" selbstverständlich nicht. Aber was Positives: Sie befolgt schon ansatzweise die Kommandos "SITZ" und "PLATZ" und kommt freudig, wenn ich sie rufe. Das alles natürlich (noch !) - OHNE Leine !

 

Training 4. Tag:  Heute haut BABI das allererste Mal nicht ab, als sie die Leine sieht. Ich kann sie in ihrem Rudel anleinen. Kein Hinterherziehen mehr beim Rausgehen! Die Leine hängt locker durch! Und - es geschehen Wunder - sie wedelt erstmals beim Gehen an der Leine mit hocherhobenem Schwanz! Sie geht eher hinter mir - bestenfalls an der Seite - und zieht überhaupt nicht (= man kann sie mit dem kleinen Finger führen) - das ist doch wirklich positiv. Es dauert nicht lange und der Schwanz geht wieder runter. Ein "HUCH" in Form eines unbekannten Geräusches (irgendjemand dürfte eine Laster-Tür geschlossen haben) begegnet uns. So - keine hundelebensbedrohliche Lage festgestellt = Schwanz wieder rauf es geht weiter. Ab ans Anbinden und ich entferne mich 20 Meter. Allerarges HUCH – sie spielt wieder Rodeopferd, sobald ich auch nur 5 Schritte von ihr weg gehe. Hmmm …. Hunde müssen sowas im Alltag können, deswegen muss sie es erlernen. Es ist doch auch wirklich nichts dabei ….

 

Training 4. Tag /  nachmittags:  Mehrere "HUCH" sind uns begegnet. Ein fremdes Geräusch beim Spaziergang. Ganz arg war das HUCH mit dem hundefreundlichen Maler, der einfach streichelte - weiteres HUCH von jemandem, der ein Foto von ihr machte und sie ansprach. HUCH, ein Spielgefährte wird von seiner Besitzerin abgeholt und die Besitzerin sagt etwas! HALB-HUCH = Rüdiger fährt weg und kommt wieder. Neben dem Verfestigen des bereits Erlernten steht heute das Einsteigen in ein Auto auf dem Programm. FELIX, mein eigener Hund, macht es vor - ich krabbele auch ins Auto - und letztendlich auch BARBIE. Solange ich im Auto bin, kann man die Klappe schließen. Ohne mich geht es noch nicht. Wir müssen das Kommando "Platz" noch besser üben, dann kann man auch bestimmt die Autotür schließen. Beim Einrudeln geht BARBIE erstmals dominant-griffig auf die Artgenossen los, was ich natürlich nicht durchgehen lasse. Ich bin mit den heutigen Ergebnissen unseres Trainings sehr zufrieden. Alles auf einmal geht halt nicht.

 

Training 5. Tag:  Motto "Auffrischung des Erlernten"

  • Anleinen in Gruppe und rausgehen - sehr gut
  • Spazierengehen mit mir - wedelnd - sie markiert bereits - geht zu weit hinter mir - gut
  • "SITZ" mit rundherumgehen - naja
  • "PLATZ" und liegen bleiben -naja
  • Kommen wenn ich rufe - gut
  • Zurück in Gruppe - sehr gut

Auto einsteigen & fremde "HUCHS" ersparen wir uns heute. BARBIE ist völlig erschöpft! Jetzt geht nichts mehr. Ein guter Hundetrainer schafft es grundsätzlich binnen zwölf Tagen einen Hund so auszubilden, dass dieser annähernd Begleithund-Reife hat. Sollte ich bei BARBIE das Gefühl haben, dass sie nicht so weit ist, dann stufe ich sie als fast unvermittelbares Patentier ein. Es wird dann trotzdem weitergeübt, jedoch durch unsere Spendenkasse geschaut, dass die laufenden Kosten gedeckt werden. Eine diskutierbare Richtlinie, was ein vernünftiger Begleiter eines Menschen können sollte, findet man in der Prüfungsordnung div. Hundeverbände (z.B. BGH1).

 

Training 6. Tag:  Das heutige Motto ist: "Auffrischung des Erlernten". Weniger Fotos werden gemacht - dafür ein Haarzopf bei der Hundetrainerin. Zopf bedeutet keinerlei Ablenkung – volle Konzentration. In dieser Situation grüße ich nicht mal Nachbarn, sondern achte akribisch auf das Verhalten des Schülers. Wir arbeiten genauer und sitzen / liegen nicht irgendwie, sondern exakt links und grade. Auch gehen wir ordentlich am Bein mit einer Schmerzgrenze von 20 cm.

 

BARBIE hat weitere Baustellen. Sie frisst super, verteilt auf zwei Mahlzeiten, ihre komplette Ration. Sie ist weder zu dick noch zu dünn. Jedoch frisst sie eigenartig = nicht mit den anderen. Egal, wie lange das Futter steht und welches Futter es gibt. Sie liebt die Handfütterung. BARBIE kriecht unter meinen Arm und frisst am allerbesten aus der Hand. Ich muss das korrigieren. WAS FÜR EIN UNMÖGLICHES TIERCHEN ! All diejenigen, die nun meinen "irgendwann wird BARBIE schon fressen, wenn sie Hunger hat" - sei gesagt: Das wird sie derzeit garantiert nicht! BARBIE ist sehr speziell. Zu denen, die mich nicht kennen: NEIN - Ich bin kein unerfahrener antiautoritärer Tierschützer, der Hunde verhätschelt. JA - Ich liebe Tiere (insbesondere Hunde) und bin erfahrener Praktiker. BARBIE frisst anders nicht. Wir haben es mehrfach versucht.

 

Training 7. Tag:  Einige "HUCH" sind uns heute begegnet. BARBIE fürchtet sich grundsätzlich vor Menschen aller Art - auch vor Kindern. Ein lieber Kunde meiner Tierpension bietet sich unverhofft zu einem Leinengang an. Ich konnte meinen Augen nicht trauen - BARBIE geht mit diesem, ihr völlig fremden, Menschen und dessen eigenem Hund spazieren (halbhohe Schwanzstellung). Auch zu seiner Ehefrau ist sie zugänglich. Sie fährt sogar eine kleine Runde in einem fremden Auto - UNGLAUBLICH ! Ich freue mich. Es scheint so, als spürt sie eine Art Energie, die von dem einzelnen Menschen ausgeht und ob dieser gerecht mit ihr umgeht. Sie nahm sogar von ihm einen Löffel Nassfutter.

 

Eine neue Marotte von BARBIE ist eine Art von "Eifersucht"!  Sie zeigte das Verhalten erstmalig am 4. Tag unseres Trainings. Streichele ich einen anderen Hund ihrer Gruppe, dann wird sie ärgerlich. Sie fletscht gegenüber dem Artgenossen die Zähne und knurrt böse. Sie beißt aber nicht. Natürlich lasse ich ihr das nicht durchgehen. Auf ein "NEIN" oder "SCH-TTT" hört sie auf. Jedoch - kaum beschäftigt man sich wieder mit dem anderen Hund - "eifert" sie wieder. Es ist fast so, als hätte sie die "Vertraute" am liebsten für sich alleine. Wir werden an diesem Fehlverhalten arbeiten.

 

Training 8. Tag:  Wir üben und üben! Habe dabei die Prüfungsordnung im Hinterkopf. Der Vorteil des perfekten Befolgens des Kommandos "PLATZ" wäre, dass sie angebunden werden könnte. Grob unperfekt ansatzweise (!) funktioniert es bereits. Das Ablegen selbst ist nicht die Herausforderung – sie legt sich sofort hin. Beim Weggehen des Hundeführers steht sie zwar nicht auf, aber krabbelt hinterher – und das schnell. Wenn BARBIE das Kommando „Platz“ beherrscht, hoffe ich, dass sie dann dadurch auch irgendwann beim Einsteigen in ein Auto liegen bleibt. Ich merke selbst, in welcher hoffnungsvollen Weise ich schreibe ....

 

Training 8. Tag / kompletter Nachmittag = FÜNF Stunden (!):  Der Tierfreund, der mit BARBIE und seinem eigenen Hund bereits spazieren ging, hat sich bereit erklärt, BARBIE versuchsweise mitzunehmen. Leinengang samt Autofahrt mit in das Zuhause der "Nun-nicht-mehr-ganz so-Fremden" samt deren Haushund. Wir bleiben in telefonischem Kontakt. HURRA ! Sie trinkt! Sie frisst!  Sie steht auf! Sie legt sich selbständig zu beiden "Etwas-Vertrauten". Wunderbar - es ist doch nicht "Hopfen & Malz" verloren. Es müssen wohl einfach nur die - aus BARBIE´s Sicht - "richtigen" Menschen sein. Leider finden sich solche selten. Wer gut mit Hunden umgehen kann, nimmt sich meist einen Leistungshund für die Arbeit in einem Hundeverein. Problemhunde sind schwer vermittelbar. Ein Problemhund wird BARBIE wohl immer bleiben - da hilft das beste Ausbilden nichts. Sie ist eben charaktervoll. Ein toller spannender Hund. Ich habe mir den Stichtag (Training Tag 12) notiert, an welchem BARBIE ggf. aus der aktiven Vermittlung genommen wird. Dann sollte sie zu einem eher unvermittelbaren Patentier deklariert werden. Das möchte ich vermeiden. Ein paar Trainingstage haben wir ja noch.

 

Training 9. Tag:  Heute BARBIE-PAUSE! Wir lassen das Erlebte wirken! Bin mir klar darüber, dass wir nur noch vier Tage zum Entscheid haben - jedoch braucht meine Maus nun Ruhe um alles geistig zu verarbeiten. Ich bin mir sicher, dass unsere Übungen morgen besser absolviert werden, wenn wir heute Mal aussetzen.

 

Training 10. Tag:  Nicht nur die Grundkommandos sind wichtig, sondern auch anderes seltsames Verhalten. Dazu gehört: Entwöhnung der Handfütterung! Das kann es doch nicht sein, dass dieses seltsame Wesen nur in inniger Umarmung mit Betreuerin frisst! Fühlt sie sich geborgen, frisst sie alles auf - morgens sowie nachmittags. Ohne Liebhaben - kein Futtern - nicht ein einziges Körnchen! Heute begannen wir mit unserer Umschlingung und während sie fraß wurde sie allein gelassen und das Außengehege gesäubert. Gründlicher als nötig. Es geht, wenn man 20 Sekunden weg geht - BARBIE frisst weiter - jedoch nur solange man dicht beim Essenstisch bleibt. Ein Meter sind ihre "Toleranzgrenze".

 

Training 10. Tag / nachmittags: HURRA ! Der "Nicht-mehr-ganz-so-Fremde" hat sich soeben angesagt und nimmt BARBIE heute ehrenamtlich nochmals zum Spaziergang etc. über das Wochenende mit. Was Besseres kann ihr gar nicht passieren! Es werden bestimmt wieder viele freundliche "HUCH" auftauchen - und das in Gegenwart eines "Halb-Vertrauten" der super mit ihr umgehen kann! Ich erhielt ein lustiges Video: Sein eigener toller Begleithund und unser Problemhund BARBIE spazieren gemeinsam vorne weg - beide (!) Hunde stehen wie angewurzelt bei "STEH". Sie orientiert sich stark an dem anderen sehr braven Hund - was überhaupt kein Fehler ist. BARBIE kommt, nach den zwei Tagen wieder retour, schleckt zum Abschied bei "halbvertrauter Ersatz-Betreuerin" die Hand. Nun schläft sie! Dürfte für sie anstrengend gewesen sein! Weiters haben wir dann noch etwas mehr Zeit zur „Patentier-Einstufung“, weil ja kein Datum, sondern nur die reinen Trainingstage zählen.

 

Training 11. Tag:  Ein Erfolgserlebnis: Umarmungsloses gemeinsames vernünftiges Vollfuttern ! - zu fünft in der Gruppe - Futterschüssel am Boden - BARBIE HAT ES GESCHAFFT, alleine zu fressen. Beim heutigen Schlechtwettertraining stellt sich heraus, dass BARBIE kein Regen- und Kältehund ist. Nach bereits zwei Minuten sieht sie mich vorwurfsvoll und ungläubig an: "Müssen wir wirklich?" Das Kommando "SITZ" wird wunderbar befolgt. Auch die Leinenführigkeit ist klasse. "BLEIB" auch kein Problem. Jedoch "PLATZ" ist völlig "igitt". Nachdem ich mich selber frage, ob ich mich ins kalte, nasse Gras legen wollen würde, beenden wir diese Übung. BRRRRRR  ... es fing dann auch noch an zu schneien. Was die Begleithund-Reife angeht, bin ich mit ihr zufrieden und wir brauchen nicht im Schnee zu stapfen.

 

Training 12. Tag:  "Nicht-mehr-so-Fremder" nimmt BARBIE mit. Heute stehen neben Spaziergang auch der Besuch eines Altenheimes und Liftfahren am Programm. Das könnte für alle Beteiligten spannend werden und ich stehe telefonisch in Bereitschaft. Alles funktioniert sehrt gut. BARBIE lässt sich von den alten Damen und Herren streicheln und auch das Lift-Fahren ist keine "Herausforderung". Nachmittags kommt sie zurück und ich übe nochmals mit ihr. Heute ist der Tag der Entscheidung: Ich habe BARBIE zwölf Tage intensiv trainiert. Das komplette Verhalten dieses lieben Tierchens wurde von anderen und mir nun neutral betrachtet. Bei Fremden fremdelt sie nach wie vor etwas. Bei dominanteren Personen fürchtet sie sich und würde wohl auch keine Kommandos befolgen. Entscheidung ist: "HALBES PATENTIER". Es gibt nicht nur ein SCHWARZ oder WEISS. BARBIE ist durchaus irgendwann vermittelbar - jedoch kann es sein, dass sie noch ein paar Monate auf der Anlage bleibt. Schön wäre es, wenn sich hier Sponsoren fänden, die wenigstens einen Teil der Futterkosten übernehmen.

 

 

Es war soweit – BARBIE sollte ein neues Zuhause finden!

 

Eine wohlerzogene Hündin, anpassungsfähig und freundlich, wäre normalerweise schnell vermittelt. Aber nicht BARBIE! Trotz liebevoller Begrüßungen der neuen Besitzer wandelte sie sich in deren Obhut zur Meisterin des Hungerstreiks. Kein Tropfen Wasser, kein Krümel Futter – und als Krönung verkroch sie sich in die tiefsten Ecken der fremden Wohnungen, wo sie apathisch und komplett bewegungslos verweilte. Es war ein Bild des Jammers, das sie bot. Mir blieb nichts anderes übrig, als sie immer wieder persönlich in Empfang zu nehmen, mühsam aus den Autos zu heben und sie zurück in ihr „Reich“ zu bringen, wo sie wie von Zauberhand wieder zum Leben erwachte.

 

Unser erster Versuch: Eine entzückte Familie besuchte BARBIE und entschied sich nach einem zweiten Besuch, sie mitzunehmen. Das Haus hatte einen großzügigen Garten, und es gab keine anderen Haustiere – für BARBIE eigentlich ein Traumdomizil. Ich hatte ein gutes Gefühl, zumal BARBIE in den letzten Wochen bei uns viel an Selbstvertrauen gewonnen hatte. Ihre Scheuheit hatte nachgelassen, und sie war geradezu kinderfreundlich geworden! Voller Optimismus bot ich an, in telefonischem Kontakt zu bleiben, um bei Fragen oder Unsicherheiten zu unterstützen. Zwei Tage später dann der erste Anruf. „BARBIE frisst nicht“, hörte ich besorgt am anderen Ende der Leitung. „Sie hat das Futter nicht einmal angesehen!“ Ich versicherte der Familie, dass sie sich keine Sorgen machen müsse – BARBIE war bei mir nie eine wählerische Esserin gewesen. „Lassen Sie sie einfach ein wenig zur Ruhe kommen, sie wird schon fressen, wenn sie hungrig ist,“ meinte ich.

 

Doch am dritten Tag wurde ich erneut angerufen. BARBIE weigerte sich nicht nur zu fressen, sie verweigerte auch das Trinken. Sie stand nicht einmal mehr auf und hatte sich in die hinterste Ecke des Hauses verkrochen, als wäre es das Ende der Welt. Ich begann mir langsam Sorgen zu machen. Am vierten Tag schließlich traf die Familie die Entscheidung, BARBIE zurückzubringen. Kaum hatten sie den Rückweg angetreten, wartete ich schon im Hof. Doch BARBIE war nirgends zu sehen, bis ich sie – zusammengerollt wie ein kleines Päckchen Traurigkeit – auf der Rückbank des Autos entdeckte. Apathisch und zusammengesunken sah sie mich an, wie eine geschlagene Heldin.

 

Ich nahm sie behutsam auf den Arm und brachte sie ins Haus. Sobald die Familie vom Hof fuhr und BARBIE sich in ihrem gewohnten Bereich befand, wandelte sie sich wie durch Zauberhand: Sie stürzte sich auf das Futter, leerte ihre Wasserschüssel und wedelte fröhlich mit dem Schwanz, als wäre nie etwas geschehen. Ein kurzes Video davon sandte ich den verblüfften Ex-Besitzern, die kaum glauben konnten, dass es dieselbe Hündin war. Die nächsten Tage verliefen bei mir ohne das kleinste Problem – BARBIE war wieder ganz die Alte.

 

Mein neuer Plan: Ich musste jemanden finden, der bereit war, sich BARBIEs Vertrauen in kleinen Schritten zu erarbeiten, idealerweise mit regelmäßigen Besuchen, bevor sie endgültig umzog. Ihr Vertrauen konnte man nicht mit einem bloßen Umzug in eine neue Umgebung gewinnen – nein, BARBIE verlangte eine langfristige Annäherung. Es fanden sich genug interessierte Besucher, doch BARBIE stellte die Geduld auf die Probe.

 

Unser zweiter Versuch: Mit viel Sorgfalt beschrieb ich in der Vermittlungsanzeige die Eigenarten der Hündin. Es war wichtig, dass sich die neuen Interessenten wirklich bewusst waren, was sie erwarten würde. So meldete sich schließlich ein Paar, diesmal ohne Kinder, aber mit eigenem Hund. Sie wollten BARBIE als Zweithund aufnehmen und betonten, dass ihnen ein kleines Desaster wie beim ersten Mal nicht passieren würde. Sie kamen mehrfach mit ihrem Hund zu Besuch, und alle Anzeichen standen auf Erfolg. Der erste Tag im neuen Zuhause verlief ruhig – kein Anruf, keine Aufregung. Doch schon am zweiten Tag kam das Déjà-vu. „BARBIE frisst und trinkt nichts“, kam der vertraute Satz am Telefon.

 

Ein Hundetrainer hatte BARBIE begutachtet und kam zu einem vernichtenden Urteil: „Dieser Hund ist komplett seltsam“, sagte er. Die Besitzer versuchten es tapfer noch einen Tag lang, doch als es keine Besserung gab, fuhren sie sie zurück. Ich nahm das Häufchen Elend wieder in Empfang und brachte sie zurück ins Haus. Kaum war sie bei uns, wischte BARBIE die Traurigkeit wie ein unsichtbarer Mantel ab und verwandelte sich in die heitere, entspannte BARBIE, die wir alle kannten und liebten.

 

Zu diesem Zeitpunkt hatte BARBIE bei einigen Außenstehenden den Ruf einer „neurotischen“ Hündin erlangt, für die man nur mit Hilfe eines „Hundeflüsterers“ eine Lösung finden könnte. Doch für mich zeigte sich ein ganz anderes Bild: Ein charmanter Hund, der sich entschieden hatte, dass nur wir als ihr dauerhaftes Zuhause infrage kamen. Nach weiteren Überlegungen erkannte ich, dass BARBIE einfach ihre eigenen Vorstellungen vom Leben hatte. Wie sollte ich sie für einen Umzug trainieren, wenn sie bei uns perfekt glücklich war und sich wie ein Fisch im Wasser fühlte? Ein letzter Gedanke überkam mich: Vielleicht war BARBIEs Plan nicht so neurotisch oder unlösbar, wie es schien. Vielleicht hatte sie nur einen ganz besonderen Ort zum Leben gewählt – unseren.

 

Letztlich blieb mir die Entscheidung: Entweder ein letztes, womöglich wieder erfolgloses Vermittlungsabenteuer zu starten oder zu akzeptieren, dass BARBIE uns ihr Zuhause bereits längst mitgeteilt hatte – wir waren es, die einzigen, bei denen sie leben wollte. Jedoch hatte ich bereits eine Höchstzahl an eigenen Hunden und konnte wirklich keinen weiteren dazu nehmen.

 

BARBIE kam immer wieder zurück

 

BARBIE war wie ein Bumerang – und das im wahrsten Sinne des Wortes! Egal, wie oft wir sie in die große, weite Welt hinaus entließen, sie fand immer wieder zurück. Und das lag nicht etwa daran, dass BARBIE ein schüchternes Mauerblümchen war. Nein, nein! In dieser Hündin steckte ein „führungsbegabter Wolf“, ein echtes Alphatier. BARBIE war kein Kuschelwelpe, der sich leise in die Ecke drückte. Im Rudel führte sie souverän die Truppe nach mir an – dominant, verspielt, unerschrocken und dabei total verträglich. Sie konnte ein ganz schön selbstbewusstes Auftreten hinlegen, das sollte man nicht unterschätzen! Wer dachte, dass sie in fremder Umgebung als „ach-so-armer Hund“ zu betüdeln wäre, lag vollkommen daneben. Nein, BARBIE wusste genau, wie sie das menschliche Rudel anführen konnte – und das machte sie auch! Was wir also brauchten, war jemand, der diese feine Balance von konsequenter, liebevoller Führung beherrschte. Nur so blieb sie das wunderbare Tier, das sie bei uns war.

 

Die Vermittlungsversuche häuften sich, und meine Texte auf der Website wurden immer länger. Jedes neue Zuhause war von BARBIEs Eigensinn ebenso überrascht wie ich von ihren stets neuen Wegen, ihre Rückkehr zu uns zu inszenieren. Schon fast resigniert, wandelte sie sich langsam von einer Vermittlungshündin zu einem „Patenhund“. Ich wollte einfach kein weiteres Abenteuer erleben, bei dem ein neues Zuhause nach wenigen Tagen oder Wochen die Segel strich. BARBIE würde nur an einen ganz besonderen Menschen gehen. Wer auch immer die Ehre hatte, ihr endgültiges Zuhause zu werden, brauchte Geduld und eine unerschütterliche innere Ruhe.

 

Also veröffentlichte ich unser ganzes BARBIE-Trainingsprogramm, postete mehr als 200 Fotos und Videos, und der Vergabetext? Der las sich mittlerweile wie ein Roman! Jede ernsthafte Anfrage bekam diesen epischen Text zugesandt. Nur die hartnäckigsten Interessenten hielten durch, und meistens kam es dann gar nicht erst zur Besichtigung.

 

Endlich Zuhause!

 

Und dann tauchte sie auf: eine ältere Dame mit ihrem Mann, beide hundeerfahren und voller Geduld, die all meine Texte, Notizen und Videos regelrecht studiert hatten. Ein etwa einstündiges Telefonat folgte, bei dem ich alle meine Bedenken äußerte. Doch das Paar ließ sich nicht abschrecken – ein kleines Haus mit Garten, viel Zeit als Pensionisten, keine Kinder im Haus (nur gelegentliche Besuche von Enkelkindern). Sie schienen die perfekten Kandidaten zu sein und schlugen vor, BARBIE direkt mit nach Hause zu nehmen. Wir vereinbarten, dass sie sich nach drei Tagen bei mir melden würden.

 

Der erste Tag verging. Kein Anruf. Am zweiten Tag ebenfalls absolute Funkstille. Obwohl ich kurz davor war, selbst anzurufen, hielt ich mich eisern zurück. Schließlich kam dann am dritten Tag das ersehnte Telefonat. „BARBIE ist perfekt!“, verkündeten sie am anderen Ende begeistert. Sie fraß, trank und spielte fröhlich im Garten. Es war, als wäre sie schon immer da gewesen. Auch die Enkel hatten sie bereits kennengelernt, und BARBIE war die treueste Begleiterin, die man sich vorstellen konnte. Fotos folgten, die BARBIE mit den Kindern spielend, im Garten herumlaufend oder stolz an der Leine bei Bergspaziergängen zeigten.

 

Ich war überglücklich – und ein Profi, wie ich nun mal bin, hätte stoisch die Situation akzeptiert, ohne große Gefühle zu zeigen. Aber in diesem Moment war ich kein kühler Experte mehr, sondern eine stolze Hundemama, die BARBIE endlich ihr passendes Zuhause gegeben hatte. Die Freudentränen flossen in Strömen. BARBIE, die „charaktervollste“ Hündin, die mir je begegnet war, hatte endlich ihren Platz gefunden. Und das – hoffentlich – für immer.