Das Telefon klingelte an einem gewöhnlichen Dienstagmorgen, und wie es so oft der Fall war, stand der Tagesplan damit auf wackligen Beinen. Ich hatte alles perfekt durchgeplant: Die Hunde in meiner Pension waren versorgt, die täglichen Routinen liefen wie am Schnürchen, und eigentlich hätte mich nichts aus der Ruhe bringen sollen. Doch als ich den Hörer abnahm, ahnte ich, dass dieser Anruf etwas Besonderes war. Wenn das Telefon läutete, konnte manches Gespräch einen durchgetakteten Tag vollkommen durcheinanderbringen.
All die fixierten Termine - all das, was man sich vorgenommen hatte, musste umgeplant werden. Manches Mal mussten die Hundegruppen anders eingeteilt werden. Meist ging es bei mündlicher und schriftlicher Korrespondenz um Anfragen zur Tierpension, Hundeerziehung oder Rückmeldungen von Tierbesitzern. Manches Mal wurde ich um die Aufnahme von Abgabetieren gebeten. Die meisten Abgabetiere lehnte ich ab, da die Umerziehung sehr zeit- und kostenintensiv war. Nur in Ausnahmefällen leistete ich es mir, mich „hobbymäßig“ schwierigeren Aufnahmehunden anzunehmen. Ich betrieb kein staatlich subventioniertes Tierheim mit Spendern und Vereinsmitgliedern, sondern eine gewerbliche Tierpension. Diese war, wie jedes wirtschaftliche Unternehmen, auf Gewinn ausgerichtet. Verhaltensauffällige Hunde bedeuteten immer viel Zeitaufwand und ein finanzielles Minus.
Besitzer wurde durch eigenen Hund schwer verletzt
Am anderen Ende der Leitung hörte ich die aufgeregte Stimme eines Mannes, der schnell zur Sache kam. Es war ein Freund eines Hundebesitzers, der sich in einer misslichen Lage befand. Der Besitzer lag nach einem schlimmen Unfall schwerverletzt im Krankenhaus – fünf Bisswunden, am Arm, Bein und sogar am Kopf. Der Täter? Sein eigener Hund. „Größer, schwarz, etwa zwei Jahre alt, Weibchen. MONA“, sagte der Mann. „Der Hund ist außer Kontrolle, alle Tierheime haben abgelehnt, ihn aufzunehmen. Wir brauchen dringend jemanden, der sich kümmert.“ Mehr Informationen gab es dazu nicht, da der Bekannte von dem Hund wenig wusste. Er konnte MONA nicht behalten, sondern der Hund müsste sofort (!) weg. Die Aufnahmegebühr spiele keine Rolle, sondern Hauptsache, dieser „Teufel kommt irgendwo unter“. Der Eigentümer hatte noch im Krankenhaus eine Verzichtserklärung zu Gunsten des Bekannten unterschrieben. Mit diesem bissigen Hund wollte er nicht mehr zusammenleben.
Natürlich war MONA nun so etwas wie ein „Problemhund“. Es waren keine Pensionsplätze mehr frei und Tierheime hatten auch abgelehnt? Kein Problem, dachte ich mir - ich hatte Platz. Mein Verstand hätte vielleicht „Nein“ sagen sollen, doch mein Bauchgefühl, oder vielleicht mein unermüdlicher Hang zur Herausforderung, ließ mich diesen Fall nicht ablehnen. Irgendetwas an dieser Geschichte reizte mich. Und so sagte ich zu – mit einem leichten Kloß im Hals.
Ich hatte grade keine/n "Schüler/in" und somit wieder einen Ausbildungsplatz frei. Evidenzlisten führte ich bei Aufnahmehunden nicht. Meine Devise war: "Wenn ich Platz habe, nehme ich auf". Ich konnte JEDEN Hund umpolen. Manchmal dauerte es nur kurz - manchmal länger – notfalls würde ich den Hund behalten. Mich interessierte dieser schwierige Fall der jungen Hündin.
MONA zog ein
Am Abend wurde MONA gebracht. Und was da aus dem Transporter stieg, war beängstigend und faszinierend zugleich. Eine pechschwarze Hündin, kräftig gebaut, um die 42 Kilo schwer, mit glänzendem Fell, das im Licht fast wie Lack schimmerte. Sie erinnerte an einen reinrassigen Rottweiler - nur eben mit anderer Färbung. Nicht, wie üblich, schwarz-braun – sondern komplett schwarz. Sie trug einen massiven Maulkorb, der Assoziationen zu Hannibal Lecter weckte – und in mir den Wunsch, sofort einen sicheren Abstand zu wahren. MONAs dunkle Augen blickten mich herausfordernd an, und ein tiefes, bedrohliches Knurren vibrierte in ihrer Brust, als ob sie sagen wollte: „Versuch’s ruhig – ich bin bereit.“
Schon bei Ankunft zeigte sie durch den gewaltigen Maulkorb, dass sie wunderschöne weiße Zähne hatte. Dazu hatte sie auch eine tiefe grollende Stimme und konnte die Nackenhaare hoch aufstellen. Was für eine Begrüßung – viel hielt sie noch nicht von mir. Mich beeindruckte seit jeher Knurren wenig und ich übernahm die Leine, um mit MONA in das vorbereitete Einzelgehege zu ziehen. Nach den bürokratischen Formalitäten, verschwand der, sichtlich erleichterte, Überbringer sehr rasch und nun war MONA mein Eigentum. Ziel war, wie bei allen anderen Schülern, dass die Hundedame irgendwann in ein passendes neues Zuhause ziehen könnte. Der Mann, der sie brachte, wollte offensichtlich keine Sekunde länger bleiben als nötig. Nachdem er die Leine übergeben hatte, verschwand er, als hätte er Flügel bekommen. Kein großes Tamtam, keine langen Erklärungen – nur ein kurzer, fast flehender Blick in meine Richtung, als ob er sich fragte, ob ich wirklich wusste, worauf ich mich da einließ.
Nun gehörte dieser spezielle Hund mir
MONA beäugte mich argwöhnisch, ließ sie sich aber ohne viel Widerstand in ihr Zimmer führen. Dort stand sie nun, knurrend und angespannt, und ich ließ sie erstmal in Ruhe. Manchmal ist es besser, den Dingen ihren Lauf zu lassen, als direkt den Kampf zu suchen. Der Maulkorb blieb zunächst dran – sicher ist sicher – und ich ging ins Büro zurück, um den Abend in relativer Ruhe ausklingen zu lassen. MONA hingegen verbrachte eine Stunde mit leisem Grummeln und gelegentlichem Zähneknirschen.
Der grauenvolle Maulkorb und die 2-m-Leine mussten auf jeden Fall noch vor dem Schlafengehen entfernt werden. Beim nochmaligen Blick ins Gehege, hörte ich ein grollendes „GRRRR!“ Bei mir lebten nie Tiere mit Maulkorb. Das Entfernen des überdimensionalen Beiß-Schutzes gestaltete sich schwierig. Die gängigen Kommandos, wie SITZ, PLATZ oder NEIN, waren MONA wohl fremd. Ich bat mein Team, mir zu helfen. Nachdem wir, mittels langer Stange, die Leine durch das Gitter greifen konnten, zogen wir MONA (mit Gegenwehr) heran und sicherten sie mit einer zusätzlichen Schlinge. Das Ungetüm von Beißschutz konnte nun vorsichtig entfernt werden und, in weiterer Folge, auch die Leine. Jetzt lief sie frei im Zimmer, die Tür ins Außengehege ließ ich offen. Es war Sommer und warm. Jetzt sollte die Hündin mal zur Ruhe kommen und ab dem nächsten Tag würde ich mich intensiver mit ihr beschäftigen.
Die ersten Tage – eine stumme Auseinandersetzung
Der erste Morgen mit MONA verlief... nun ja, sagen wir mal, angespannt. Jedes Mal, wenn ich in die Nähe ihres Geheges kam, ließ sie ein tiefes Knurren hören, das durch Mark und Bein ging. Trotzdem blieb ich gelassen. Der erste Schritt in der Arbeit mit Hunden, insbesondere solchen, die traumatische Erlebnisse hinter sich haben, ist es, ihnen zu zeigen, dass sie keine Angst haben müssen. Das braucht Zeit, Geduld und ein bisschen Mut – und von alldem hatte ich zum Glück genug.
Die erste Fütterung verlief dann auch so unspektakulär wie möglich. Schüssel rein, schnell wieder raus – kein Kontakt, kein Stress. MONA fraß mit Appetit, was ein gutes Zeichen war. Wenn Hunde in einer neuen Umgebung nicht fressen, ist das oft ein Hinweis auf tieferen Stress. Doch MONA war einfach nur wachsam – und hungrig. Ein gutes Zeichen, dachte ich. Wenn ich auch nur am Gehege vorbeiging, zeigte meine MONA deutlich, dass sie in Ruhe gelassen werden wollte. Absichtlich hatte ich vor dem Innen- sowie Außengehege wesentlich mehr zu tun als sonst. Nicht ansehen - und schon gar nicht ansprechen .... ich verrichtete nur meine übliche Putzarbeit. Im Augenwinkel sah ich meine Schülerin natürlich. Sie durfte mich (und ich sie) nun den ganzen Tag beobachten - das Fletschen und Knurren wurde weniger. Außengehege säubern war, gottlob, noch nicht zwingend erforderlich.
Am zweiten Tag begann ich, Rock & Roll Musik im Hintergrund zu spielen, während ich im Gehege arbeitete. Die lauten Töne schienen MONA zu irritieren, aber sie reagierte nicht aggressiv. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich mehr auf die Geräusche konzentrierte als auf meine Anwesenheit. Unsere Soundanlage ermöglichte laute, fröhliche Musik und machte die Arbeit lustiger. Meine Gäste liebten es, wenn ich mitsang. MONA schien mit meinem Gesang ebenfalls keine Probleme zu haben und auch gegenüber den Hunden in den Nachbargehegen war keine Aggressivität zu beobachten. Ganz unmöglich war meine "große Schwarze" dann wohl doch nicht? Und tatsächlich: Am Ende des Tages bemerkte ich eine kleine Veränderung. MONA knurrte nicht mehr, wenn ich in der Nähe war. Sie beobachtete mich zwar immer noch, aber das laute Drohgeräusch war verschwunden. Das Eis begann leicht zu schmelzen.
Mutige Schritte ins Unbekannte
Am dritten Tag wagte ich mich einen Schritt weiter. Das Außengehege musste gereinigt werden, und das bedeutete, dass ich zu MONA ins Gehege musste – ohne trennendes Gitter zwischen uns. Ich rüstete mich mit einer Metallschüssel und einem Besen, was nicht gerade das furchterregendste Waffenarsenal darstellte, aber besser als nichts war. MONA beobachtete mich aus ihren dunklen Augen, als ich das Gehege betrat. Ich konnte das Adrenalin in meinen Adern spüren, während ich versuchte, ruhig und gelassen zu wirken.
Angenehm wäre, wenn man einen Zwinger mit Schieber hätte. Da könnte man den Hund während der Innenreinigung aussperren und umgekehrt, die Außengehege könnte man so gefahrlos säubern. Man hätte keinen direkten Kontakt zum Tier. Solchen Schieber hatte ich allerdings nicht, sondern musste direkt am Hund vorbei. Von diversen Schulungen schwirrten mir Bilder durch den Kopf: grausige Verletzungen, die bei Hundebissen passieren konnten. Es ist nicht so, dass man als Tierbetreuer Angst hat - man hat eher im Kopf, nicht verletzungsbedingt die Arbeit niederlegen zu müssen. Oberste Devise bei Tierbetreuen ist, dass kein Mensch verletzt wird.
Ich hatte MONA zur Chef-Sache erklärt und zu dem Zweck das Schild für das Eingangsgitter "Desinfektion" zweckentfremdet. „Desinfektion“ hieß bei unseren Tierbetreuern normaler Weise „Dieser Raum ist desinfiziert und soll nicht mit normaler Kleidung betreten werden.“ Es war aber auch der Code für: „Gefährliches Tier. Nicht ohne Waffe und/oder Schutzkleidung betreten. Es muss, während ein Tierbetreuer im Gehege ist, unbedingt (!) jemand in der Nähe sein, der die Rettung anrufen kann.“ Ich hatte eine gut einsehbare Tierpension und nahm auf meine Kunden Rücksicht. Vom Fenster aus konnten Besucher jedes Rudel sehen, in den direkten Tierbereich durften grundsätzlich nur die Tierbetreuer. Wie hätte das bei Besichtigungen ausgesehen, wenn da ein Schild hinge: „Gefährlicher Hund“? Der hausinterne geheime Code „Desinfektion“ passte besser.
Du bist auch nichts anderes als ein Dackel
Ich stimmte mich auf das zu erwartende Desaster bei der Säuberung bei MONA ein: Tief durchatmen - etwas Rock & Roll singen und sich denken "Du bist auch nichts anderes als ein Dackel.", "Der Mensch ist schlauer als ein Hund.", "Beiße nicht die Hand, die dich füttert." und ähnliches. Mit dieser Einstellung ging man in das Gehege. Die Devise lautete: Nicht ansehen - nicht ansprechen - nicht zögern. Ich bat einen Zuverlässigen aus dem Team, aus weiter Ferne zu beobachten und notfalls die Rettung anzurufen. Ich erinnerte nochmal an meine Anweisung: „NICHT bei Problemen ins Gehege gehen - ich kann mir selbst helfen.“ Warum? Sonst lägen vielleicht zwei Menschen im Krankenhaus. Nachdem ich die Bewaffnung auf dem Mauersims gestellt hatte (eine große leere Metallschüssel) und den Kunststoff-Räum-Kübel, als zweite „Waffe“ in der Hand hatte, ging das Theater los. Bloß nicht zögern - keine Unsicherheit zeigen. Augen zu und durch!
Mit diesen speziellen physischen und psychischen Vorbereitungen betrat ich mutig das Gehege. Ich ging zielstrebig an MONA vorbei und spürte während des Säuberns, wie ich beobachtet wurde. Dass ich im Innenbereich und in den Nachbargehegen herumwusele war MONA ja schon von den vorangegangenen Tagen gewöhnt - jetzt war kein Zaun zwischen uns. Endlich war ich fertig und wollte wieder ins Gebäude. Da stand sie: Pechschwarz - wunderschön - glänzend weiße Zähne - spannender Gurgelton - aufgestellte Nackenhaare. Durch eine Stufe erhöht, mitten in der Tür machte sie keinerlei Anstalten zu weichen. Wenn sie sprechen gekonnt hätte, hätte sie gesagt: "Keinen Schritt weiter, sonst ...."
Wendet bloß NICHT nachstehende Methode in JEDEM Fall an!
Was tun? Notausgang gab es keinen, das heißt, wir mussten aneinander vorbeischreiten. Würde ich versuchen, mittels Leiter ins Nachbargehege zu klettern, würde sich MONA wohl nur noch mehr aufregen. Um Hilfe gerufen, hatte ich noch nie - und was sollten andere auch tun? Ich gab meinem Mitarbeiter, der das beobachtete, das Sichtzeichen Daumen hoch = "ALLES OK" (obwohl mir im Grunde überhaupt nicht nach OK war). Auch mussten MONA und ich uns zwangsläufig irgendwann arrangieren, denn sie war mein Eigentum.
Ich arbeitete immer mit Bauchgefühl und musste man Hunde samt allen Zeichen richtig deuten können. Es war viel Erfahrung im Umgang mit Hunden unerlässlich, sonst könnte eine Auseinandersetzung fatal enden. Mein Innerstes sagte mir: "Bleib einfach sitzen und warte ab - ewig knurren wird meine Teufelin nicht. Immer wieder mal aufstehen - Kübel schnappen - im sauberen Gehege herumsäubern - singen." Das war sie gewöhnt. Nach zehn Minuten reichte es mir dann – sie grummelte leider immer noch. Ich dachte mir: „Was soll denn das? Willst du denn irgendwann wieder Mal gefüttert werden? Beiße nicht die Hand die dich versorgt! Das ist MEIN Haus (nicht deines)! Du bist jetzt mein Hund und keiner meiner Hunde würde es wagen, mich zu beißen! Mein Mitarbeiter ist immer noch in Warteposition. Ich habe heute auch noch andere Arbeiten zu tun.“ Ich betrat energievoll mit dem dominanten Wort "ZURÜCK" samt Sichtzeichen zielstrebig MEIN (nicht ihr) Innengehege. MONA war ob der Situation sichtlich irritiert und übersah sogar das Knurren. Wir gingen mit größtmöglichem Abstand aneinander vorbei. Es war ein seltsames Gefühl, MONA so nahe zu sein, ohne dass sie mich angriff. Doch ich war wachsam, jederzeit bereit, mich zurückzuziehen, falls sie ihre Meinung änderte. Gittertür zu - und ich war wieder in Sicherheit. UFF!
Kein weiteres Knurren, kein Drohen. Nur ein stilles Beobachten. Ich atmete auf und begann, die anderen Gehege zu reinigen. Es waren diese kleinen, aber bedeutenden Momente, die mir Hoffnung gaben. Langsam, aber sicher begann ich Vertrauen zu MONA aufzubauen – und sie schien ebenfalls zu verstehen, dass ich keine Gefahr für sie darstellte.
Die weitere Zeit
Dass ich nun immer wieder vor dem Gehege säuberte und die Gittertür öffnete und schloss - Leckerchen durch das Gitter anbot, welche sie natürlich nicht in meinem Beisein fraß - erst mit einem Fuß dann mit beiden ins Gehege ging - sie nicht ansprach oder ansah und unsere Soundanlage auf Hochtouren lief, muss ich nicht in Einzelheiten beschreiben. Im Laufe der Zeit wurde Zähne-Zeigen und Knurren weniger und hörte irgendwann ganz auf.
Es wurde von Tag zu Tag besser. Ich ging täglich mehrfach in das Gehege. MONA beherrschte das erlernte Kommando "ZURÜCK". Wir hatten uns angepasst. Knurren hörte man nach fünf Tagen überhaupt nicht mehr. Sie ignorierte mich und ich tat so, als ob ich sie nicht sah. Ich begann davon zu träumen, meine schwarze Schönheit in einer Kleinstgruppe zu halten. Mit Artgenossen dürfte sie kaum Probleme haben. Das Verhalten von ihr am Zaun zu den benachbarten Hundegruppen, war in Ordnung. Die besten Erzieher waren andere Hunde und die beste Methode etwas zu verbessern, die Haltung im Rudel.
Die behördliche Auflage, um Hunde in der Gruppe halten zu dürfen, war die ausreichende Impfung. MONA hatte zwar eine Grundimmunisierung, war jedoch eine Auffrischung erforderlich. Zu diesem Zweck beauftragte ich meinen tapferen Tierarzt. Er vereinbarte selten fixe Termine, sondern kam irgendwann. Wer ihn mal erlebte, verstand das - es riefen ständig irgendwelche Leute an seinem Handy an. Er hatte wirklich viel zu tun. Nicht dringliche Besuche fanden deshalb meist unverhofft statt, wenn wir "auf der Strecke lagen". Ich hatte meinen Tierarzt, zwecks meiner Schülerin, schon vorgewarnt und auch schon einen klugen Schlachtplan ausgeheckt: „Wir fangen meine Schwarz-Maus mit der Schlinge - ziehen sie ans Gitter - damit Tierarzt rein kann und ihr die Impfung verabreicht.“ Narkose oder Beruhigungsmittel waren wegen "sowas" noch nie erforderlich.
Die Wende
Am vierten Tag passierte dann etwas, das mich völlig überraschte. Mein Tierarzt kam, wie gewohnt terminlos, zum Impfen. Ich befand mich grade im MONA-Gehege und wir wandelten wieder, in gewohnter Manier, an den Wänden aneinander vorbei. Da war mein Tierarzt! Er kam durch die Tür und stand unverhofft vor dem Innengitter. MONA und ich waren überrascht und durcheinander - hatte ich doch weder Schlinge noch Leine mitgenommen. Sie sah mich an und rannte in schnellstem Tempo auf mich zu. OMG - eine halbe Sekunde blieb mir das Herz stehen!
Mit dem Verhalten hatte ich nicht gerechnet und schon gar nicht mit dem, was folgte. MONA schmiegte sich schutzsuchend zwischen meine Beine und saß wie ein Stein da. Wir hatten uns noch nie berührt, sondern waren immer mit großem Abstand an der Wand entlang getänzelt. Nun das – ich freute mich und streichelte sie. Als mein Tierarzt MONA und mich sah, stockte ihm der Atem. „Das ist der Hund, der diesen Mann in Wien angegriffen hat, oder?“ fragte er. Ich nickte nur kurz, bevor ich ihm erklärte, dass MONA mittlerweile schon viel ruhiger geworden sei.
Wir beschlossen, den Impfprozess so ruhig wie möglich zu gestalten. Ich bat meinen Tierarzt, kurz rauszugehen und meine Mitarbeiter, mir einen passenden Maulkorb für die Impfung zuzuwerfen. Ich führte MONA mit Maulkorb aus dem Gehege, was ich bis dahin noch nie getan hatte. Der Tierarzt war bereit, schnell zu reagieren, falls etwas schiefging, doch MONA überraschte uns beide. Sie ließ sich ohne Murren impfen, zeigte keinerlei Anzeichen von Aggression und schien fast... zahm. Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Die MONA, die noch vor ein paar Tagen geknurrt und gefletscht hatte, war nun ruhig und kooperativ.
Dieser Moment war der Wendepunkt. Von da an änderte sich unsere Beziehung komplett. MONA begann, auf meine Kommandos zu hören, und sie zeigte sogar Anzeichen von Zuneigung. Jeden Tag machte sie Fortschritte, und das Vertrauen zwischen uns wuchs. Nach einer Woche hätte niemand mehr gedacht, dass sie jemals jemandem ernsthaft geschadet hatte. Sie war zu einer ruhigen, gelehrigen Hündin geworden. Das weitere Zusammenleben verlief völlig problemlos. Das Eis war endgültig gebrochen. Ich hörte MONA nie wieder Knurren, sie zog zu anderen Hunden ins Rudel und wir arbeiteten an der Ausbildung zum Begleithund.
MONA verstand sich erwartungsgemäß erstklassig mit Artgenossen und entwickelte sich immer mehr zum verspielten Schmusehund. Das Training mit ihr machte mir Freude. Nach einigen Wochen beherrschte sie die Grundkommandos und kam in die aktive Vergabe. Ich konnte mir nun gar nicht mehr vorstellen, dass sie knurrt oder anderes negatives Verhalten zeigt. Weder bei mir, noch bei anderen Menschen. Sie war wie ausgewechselt. Was auch immer in der Vergangenheit passierte - es muss eine fürchterliche Erfahrung gewesen sein. MONA war eine wunderbare lernfreudige, mit Spielzeug und Leckerchen motivierbare Hündin.
Sie suchte sich ihr Zuhause selbst aus
Es mussten nun besondere neue Eigentümer gefunden werden. Ich hatte so viel mit meiner Hündin gearbeitet und war mir MONA sehr ans Herz gewachsen. Mir war übel bei dem Gedanken, diese Hündin weiter zu geben. Einige meiner Bekannten meinten, ich solle mir doch diese feine Hündin behalten. Ich hatte zu der Zeit vier eigene große Hunde und mir selbst das Limit gesetzt, dass es nicht mehr werden dürften. Auch behielt ich mir grundsätzlich keine vermittelbaren Tiere. Ich rief mir in Erinnerung, dass es mein "Job" war, Tiere zu erziehen und diese dann weiter zu geben. Wenn ich all die Hunde behalten würde, die mir ans Herz gewachsen waren, hätte ich das Gebäude wesentlich vergrößern müssen. Auch war es für Hunde viel besser eine eigene Familie zu haben, als ein Frauchen mit bis zu dreißig anderen Hunden zu teilen.
MONA hatte nun Ausbildung und war vermittelbar (auch wenn mir, wenn ich an unsere Trennung dachte, immer mehr das Herz blutete). Ich wollte in keinem Fall erleben, dass sie in alte Verhaltensmuster zurückfiel oder der neue Besitzer nicht mit ihr klar käme. Wochen vergingen: Einige Interessenten meldeten sich telefonisch - keiner kam in Frage. Dann, eines Tages, fand das lange Telefonat der Telefonate statt: Erstmalig vereinbarte ich einen Termin zur Besichtigung von MONA. Ein sehr sympathisches hundeerfahrenes Ehepaar interessierte sich für sie. Sie hatten gehört, dass ich eine „besondere“ Hündin zur Pflege hatte, und wollten sie kennenlernen. In die, am Telefon geschilderte, Lage konnte ich mir meine MONA gut vorstellen.
Dann, nach etwa zwei Wochen, erschien das Ehepaar, dass sich für MONA interessierte. Der Termin wurde seitens der Interessenten sehr überpünktlich eingehalten, sodass ich mit MONA auf der großen Spielwiese überrascht wurde. Ich brauchte bei meiner Schülerin längst keine Leine mehr.
Der Sprung ins neue Heim
Ein sportliches knallrotes Cabrio fuhr auf unseren Hof. MONA suchte sich - wortwörtlich - ihre neuen Besitzer selbst aus. Es war Liebe auf den ersten Blick – zumindest von MONAs Seite. Kaum hatte das Paar die Anlage befahren, sprang MONA über den Zaun und landete im Cabrio des Paares, als wäre sie genau dafür gemacht. Da saß sie nun und machte keine Anstalten, wieder rauszukommen. Alle Beteiligten lachten herzhaft und der Mann meinte: „Ich glaube, sie will mit.“ Dieser pechschwarze Hund in dem knallroten Auto war ein schönes Bild. Im Grunde war da allen Beteiligten schon völlig klar, dass MONA abreisen wird. Sie saß dort, stolz und zufrieden, als hätte sie ihr Zuhause gefunden. Und das hatte sie auch. So ein Verhalten sah ich vorher noch nie bei einem Hund.
Trotzdem: Der Ablauf bei der Hundevergabe war mir wichtig und musste eingehalten werden. Ich wollte zeigen, was MONA gelernt hatte und sehen wie die Interessenten mit ihr umgingen. Ich holte mein braves Mädchen mit der Leine aus dem Sportwagen. Nach näherem Kennenlernen, sah man allen immer mehr die Begeisterung an, sie meinten: „Was für ein toller Hund!“ Nach ausgiebigem Gespräch (man musste bei spezielleren Tierchen etwa zwei Stunden einplanen) entschieden wir uns, dass MONA zu ihnen umziehen darf.
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschiedete ich mich von MONA. Sie war bereit für ihr neues Leben, und ich wusste, dass sie in guten Händen war. Manchmal braucht es eben nur ein bisschen Geduld, Vertrauen und Liebe, um aus einem „Problemhund“ wieder einen treuen Begleiter zu machen. MONA war der lebende Beweis dafür. In weiterer Folge sendeten mir, die neuen Besitzer viele liebe Zeilen, Videos und Fotos. Ein Bild, welches mir besonders im Gedächtnis blieb, war, wie sie ausgestreckt quer im Doppelbett auf reinweißer Bettwäsche lag. Alle Fotos sprachen Bände .... MONA war in ihrem Zuhause angekommen und hatte nie wieder geknurrt oder gebissen.
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